Der Riese vom Drachenfels

In den dunklen Felshöhlen des majestätischen Drachenfels, hoch über dem Rheinstrom, hauste einst ein furchterregender Kämpfer, der den Wildesten unter den Wildesten galt, der nur nach Kampf und Blut dürstete – der Riese Drago vom Felsen.

Zur damaligen Zeit wagte kein Schiff, unbehelligt am Drachenfels vorbeizufahren. Die Gefolgschaft dieses Ungeheuers hielt jedes Schiff an, plünderte es aus und entführte Männer und Frauen als begehrte Beute.

Eines Tages kam ein Schiff daher, aus dessen Innerem heilige Lieder erklangen. Doch das Spottgelächter von Drago und seinen Gesellen erfüllte die Luft, und die frommen Gesänge wurden verhöhnt. Schon stürmte die gierige Bande in die Flut, bereit zu rauben und zu morden, als plötzlich ein lauter Wehruf erklang. Eine gewaltige Welle erhob sich und verschlang vor den Augen des Riesen seine Gefährten. In blindem Zorn stürmte Drago den Berg hinab und trat mutig in die Fluten ein. Doch in diesem Moment trat eine strahlende Jungfrau aus dem singenden Pilgerchor hervor und hielt dem heidnischen Unhold ein Kreuz vor sein wütendes Antlitz. Das Auge des Riesen, dessen Blick eben noch vor Kraft strotzte, erlosch im selben Augenblick. So erlag der Frevelhafte dem gottgeheiligten Zeichen. All seine Stärke und sein heldenhafter Mut waren plötzlich nichts mehr wert – in den kühlen Fluten des Rheins fand er seinen Tod. Die Wellen spülten seinen leblosen Körper an den Strand. Doch das umliegende Volk war von diesem Wunder erschüttert und nahm die Religion des Kreuzes an. Während sie für den Riesen Drago vom Felsen beteten, setzte die Pilgerschar ihre Reise fort.

Quelle: W. Müller von Königswinter, “Lorelei”, S. 200.

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