Der große Fisch von Heisterbach

In den alten Tagen gab es im Siebengebirge zwei wohlhabende Bauernhöfe, die um etwas ganz Besonderes wetteiferten. Auf dem Hof von Oberpleiß lebte ein stolzer Bauer, der stolze 24 Pferde besaß, darunter einen außergewöhnlich schönen Schimmel. Auf dem Hof von Heisterbach hingegen fand man ebenfalls einen prächtigen Schimmel, den sein Besitzer mindestens genauso schätzte.

Die Gier nach dem Pferd des anderen Hofes wuchs stetig, denn jeder der Bauern träumte davon, ein Paar dieser seltenen und wunderschönen Tiere zu besitzen. Doch keiner war bereit, sein eigenes Pferd aufzugeben.

Eines Tages kehrte der Bauer von Oberpleiß von einer Reise zurück, die ihn bis nach Honnef geführt hatte. Als er in Heisterbach ankam, bot sich ihm ein ungewöhnlicher Anblick. Die Bewohner des Ortes hatten gerade einen ihrer großen Fischweiher geleert und einen erstaunlich großen Fisch entdeckt. Der Bauer aus Heisterbach konnte nicht anders und forderte den Besucher aus Oberpleiß auf, sich diesen außergewöhnlichen Fisch anzusehen.

Doch zur Überraschung aller schien der Bauer aus Oberpleiß ganz und gar nicht beeindruckt zu sein. Im Gegenteil, er behauptete sogar, dass sein Schwager diesen Fisch ohne weiteres an einem einzigen Tag verzehren könne. Diese Aussage schockierte die Anwesenden in Heisterbach, denn es schien schier unmöglich, einen derart riesigen Fisch allein zu bewältigen.

Um seine Überzeugung zu untermauern, setzte der Bauer aus Oberpleiß seinen prächtigen Schimmel als Pfand ein, um zu beweisen, dass sein Schwager diesen unvorstellbaren Fisch tatsächlich verschlingen könnte. Der Bauer aus Heisterbach akzeptierte die Wette, und so wurde eine formelle Abmachung getroffen: Wenn der Schwager des Bauern aus Oberpleiß den Fisch am nächsten Tag nicht vollständig verzehren konnte, würde er seinen wertvollen Schimmel an den Bauern von Heisterbach abgeben. Sollte jedoch das unmögliche gelingen und der Fisch tatsächlich restlos verschwinden, wäre der Schimmel des Bauern von Heisterbach der Preis.

Der Bauer aus Oberpleiß verließ daraufhin Heisterbach und kehrte nach Hause zurück. Noch am selben Abend informierte er seinen Schwager über die Herausforderung und forderte ihn auf, sich am nächsten Morgen nüchtern bei ihm einzufinden, noch vor dem Frühstück. Der Schwager erschien pünktlich, ahnte jedoch nicht, was ihn erwarten würde.

Der Bauer von Oberpleiß hatte einen Plan. Er wollte seinen Schwager ablenken und ihm so keine Gelegenheit zum Frühstücken geben. Er zeigte ihm ausführlich sein gesamtes Anwesen, von den Feldern und Ställen bis zur Scheune. Schließlich führte er seinen Schwager zu einem jungen Fohlen und offenbarte ihm den Grund seines ungewöhnlichen Besuchs.

Er erklärte, dass er seinen Schwager ohne Frühstück lassen würde, in der Hoffnung, dass dieser das unmögliche Unterfangen des Fischverzehrs sonst nicht bewältigen könne. Doch der Schwager hatte unerwartet großen Hunger und war sich sicher, dass der Fisch nicht größer sein konnte als das junge Fohlen, das er vor sich sah. Daher bat er um ein Frühstück, und der Bauer gewährte ihm dies mit einem beunruhigten Herzen.

Nach dem Frühstück machten sich die beiden Männer auf den Weg zurück nach Heisterbach, wo ein üppiges Festmahl vorbereitet war. Doch als sie dort ankamen, staunten die Köche und Diener nicht schlecht, als der Schwager plötzlich seinen Gürtel löste und sich vor ihren Augen ausdehnte wie ein Berg.

Noch erstaunlicher war, dass der gewaltige Fisch in diesem augenscheinlich unendlichen Magen in kürzester Zeit verschwand. Und so gewann der Bauer die Wette und erhielt den Schimmel, mit dem er stolz zu seinem Hof nach Oberpleis zog.

Quelle: “Neue Bergische Sagen” von Otto Schell, erschienen 1905 in Elberfeld.

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