Walpurgis: Die Legende der tapferen Tochter aus dem Siegtal

In den tiefen Wäldern des Siegtals, vor langer Zeit, lagerte der römische Feldherr Varus mit einer Abteilung seiner Legionen. Doch sein Blick ruhte nicht auf Eroberungen oder Schlachten, sondern auf einer anderen Art von Trophäe – dem Herzen einer jungen Frau namens Walpurgis, der Tochter des Sigambrien-Herzogs Melo.

Varus begehrte Walpurgis als seine Gemahlin und machte dem stolzen Herzog einen Heiratsantrag. Doch die junge Frau hatte andere Pläne. Sie weigerte sich, dem römischen Zwingherrn die Hand zu reichen, und verschmähte seine Avancen. In seinem verzweifelten Verlangen beschloss Varus, Walpurgis zu entführen und so die Kontrolle über ihr Schicksal zu erlangen.

Es geschah an einem sonnigen Tag, als Walpurgis allein im Garten spazierte. Plötzlich brach die Stille der Natur, als römische Soldaten sie überfielen. Doch Walpurgis war keine hilflose Maid. Mit Entschlossenheit und Mut entriss sie einem der Angreifer sein Schwert und setzte sich tapfer zur Wehr.

Der Herzog, ihr Vater Melo, hörte die verzweifelten Schreie seiner Tochter und eilte ihr zu Hilfe. Doch das Duell zwischen Walpurgis und den römischen Soldaten war bereits im Gange. Im heftigen Kampf fiel schließlich Melo, der Sigambrien-Herzog, und gab sein Leben für die Verteidigung seiner Tochter.

Walpurgis, von Angst erfüllt, nutzte die Gelegenheit, um zu fliehen. Sie rannte, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, doch sie stürzte und fiel in die Sieg, die gerade über ihre Ufer getreten war.

Drei Tage und drei Nächte vergingen, und in dieser Zeit trieb die strömende Sieg ihren Körper flussabwärts. Die Menschen am Ufer entdeckten sie schließlich, als ihr Leichnam aus den Fluten gezogen wurde.

Varus zog sich nach diesem Vorfall auf sein Schloss Aliso zurück, doch sein Schatten sollte das Siegtal noch lange verfolgen. Denn in diesen dunklen Zeiten tauchte ein anderer großer Held auf: Hermann der Cherusker.

Hermann betrat das Land der Sigambrier und suchte das Grab von Walpurgis auf. Dort erhob er seine Stimme und hielt eine bewegende Rede, die zum Ruf nach Rache gegen die römische Unterdrückung wurde. Dreitausend Sigambrier schworen Rache, indem sie ihre Schilde aneinanderschlugen und einen lauten Schwur ablegten.

Diese tapferen Krieger kämpften schließlich in der berühmten Hermannsschlacht im Teutoburger Wald (9 n. Chr.), wo sie die römischen Legionen besiegten und den Tod ihrer geliebten Heldin Walpurgis rächten.

Quelle: “Neue Bergische Sagen”, gesammelt von Otto Schell, erschienen 1905 in Elberfeld.

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