Syrien nach Assad: Scharaa zwischen internationaler Bühne und internen Spannungen

Syrien ein Jahr nach dem Umsturz: Zwischen Aufbruchstimmung und anhaltenden Spannungen

Ein Jahr nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad im Dezember 2024 steht Syrien weiterhin vor immensen Herausforderungen, während die Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa (auch bekannt als Abu Mohammad al-Jolani) versucht, Stabilität und eine neue Staatsordnung zu etablieren. Die Entwicklungen der letzten Tage im November 2025 spiegeln sowohl Bemühungen um Aufarbeitung und Versöhnung als auch anhaltende interne Konfliktlinien wider.

Ahmed al-Scharaa, der de facto seit dem Sturz Assads im Dezember 2024 und offiziell seit Ende Januar 2025 als Interimspräsident fungiert, hat sich auf internationaler Bühne als pragmatischer Akteur präsentiert. Er absolvierte bereits im September 2025 einen Auftritt vor der UN-Generalversammlung und plante für November 2025 einen Besuch in Washington, um mit dem US-Präsidenten Donald Trump zusammenzutreffen. Die neue Führung in Damaskus hat sich von ihrer früheren Verbindung zur Al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front distanziert und strebt die Wiederherstellung der Beziehungen zu globalen Mächten an. Russland, das die HTS (Hayat Tahrir al-Sham) bis kurz vor dem Sturz Assads als terroristisch einstufte, bezeichnet sie nun als „bewaffnete Opposition“ und signalisiert Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Intern ist die Lage jedoch komplex und von verschiedenen Forderungen geprägt. Die Verhaftung von Atef Najib, einem Cousin des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad und einer Schlüsselfigur bei der brutalen Niederschlagung der Proteste 2011, wird als wichtiges Signal der Übergangsregierung zur Aufarbeitung vergangener Regimeverbrechen gewertet. Diese Massnahme löste in Daraa Feiern aus und trägt zur Diskussion über die juristische Aufarbeitung bei.

Gleichzeitig kam es in den Küstenprovinzen, einem traditionellen Kernland der alawitischen Minderheit, zu Protesten. Am 25. und 26. November 2025 demonstrierten hunderte bis tausende Menschen in Latakia, Tartus und Homs gegen Angriffe auf ihre Gemeinde und forderten Dezentralisierung sowie die Freilassung von Gefangenen. Diese Proteste folgten einem Aufruf des Obersten Islamischen Alawitischen Rates, nachdem ein getötetes sunnitisches Ehepaar in Homs zu sektiererischen Angriffen gegen Alawiten geführt hatte, die von Milizen unter dem Befehl des Innenministeriums verübt worden sein sollen. Berichten zufolge wurden dabei auch Schüsse gehört und es kam zu kleineren Verletzungen, wobei die Sicherheitskräfte in Latakia nicht eingriffen. Beobachter sehen in den Forderungen nach Föderalismus oder Dezentralisierung einen Widerstand gegen einen zentralistisch geführten syrischen Staat, wie er bislang von al-Scharaa propagiert wurde.

Auch die Integration der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in die syrische Armee bleibt eine umstrittene Frage. Ein Abkommen vom März 2025, das die Eingliederung der SDF und die Übertragung ziviler sowie militärischer Kontrolle im Nordosten an die syrische Verwaltung vorsah, ist aufgrund von Differenzen bisher nicht vollständig umgesetzt worden. Die SDF fordert eine säkulare und dezentralisierte Staatsform und kritisiert, dass die Übergangsverfassung zu viel Macht beim Interimspräsidenten konzentriere. Aktuelle Berichte vom Oktober 2025 erwähnen sporadische bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen SDF und der syrischen Übergangsregierung, trotz eines Waffenstillstandsabkommens vom 7. Oktober 2025.

Die humanitäre Lage in Syrien ist nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg weiterhin verheerend. Zwischen 16,5 und 16,7 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und über sieben Millionen sind Binnenvertriebene. Dennoch gibt es erste Anzeichen für positive Veränderungen und eine Stimmung zwischen Aufbruch und Überleben, wie auch ein Online-Briefing der Hilfsorganisation Help – Hilfe zur Selbsthilfe vom 27. November 2025 betonte. Gleichzeitig sind die Hoffnungen vieler Syrer auf bessere Lebensbedingungen weiterhin gross, auch wenn die neue Regierung ihre Macht mitunter auch mit Gewalt und Repression festigen soll.

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