Bundeswehr: Anhaltende Herausforderungen bei Modernisierung und Beschaffung

Die Bundeswehr: Eine Bestandsaufnahme zwischen „Zeitenwende“ und strukturellen Herausforderungen

Die Debatte um den Zustand der Bundeswehr bleibt ein zentrales Thema in der politischen Landschaft Deutschlands. Während offizielle Darstellungen eine „Zeitenwende“ und Fortschritte in der Modernisierung betonen, offenbaren aktuelle Berichte ein differenziertes Bild, das eher die anhaltenden Schwierigkeiten in den Bereichen Ausrüstung, Personal und Beschaffung beleuchtet. Die Frage, ob die Bundeswehr verteidigungsfähig, aber nicht kriegsfähig ist, scheint weiterhin im Raum zu stehen, begleitet von der kritischen Betrachtung, inwieweit die aktuelle Diskussion einer gewünschten Aufrüstung Vorschub leisten soll.

Ausrüstungsmängel und ein zähes Beschaffungswesen

Trotz der Zuweisung erheblicher finanzieller Mittel, darunter das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen, persistieren Berichte über Ausrüstungsmängel in der Bundeswehr. Zwar wird die Vollausstattung der aktiven Truppe mit persönlicher Kampfbekleidung und Ausrüstung bis Ende 2025 angestrebt und weitgehend als erreicht gemeldet, doch bei Großgerät und Ersatzteilen besteht weiterhin ein erheblicher Nachholbedarf. Insbesondere die Abgabe von Material an die Ukraine wird als Faktor genannt, der diese Mängel verstärkt hat.

Das Beschaffungswesen der Bundeswehr, oft als bürokratisch und langwierig kritisiert, scheint trotz einiger Reformbemühungen weiterhin dysfunktional zu sein. Berichte zeigen, dass selbst bei der Einführung neuer Waffensysteme wie dem Standard-Sturmgewehr Kritik an der Präzision und den beschleunigten Beschaffungsverfahren laut wird, die möglicherweise zu Kompromissen bei der Qualität führen. Die Forderung nach einer Reform des Beschaffungswesens, um Planung, Vergabe und Beschaffung zu beschleunigen, wird zwar politisch unterstützt, jedoch bleiben Zweifel bestehen, ob die angestrebten Vereinfachungen die gewünschte Wirkung entfalten, ohne die notwendige parlamentarische Kontrolle zu untergraben. Die „Parlamentsschleife“ bei größeren Beschaffungsvorhaben, die eine Genehmigung durch den Haushaltsausschuss vorsieht, wird als wesentliches Element der parlamentarischen Kontrolle verteidigt, während einige Kritiker sie als Hemmnis sehen. Das Argument der Friedenssicherung durch Waffenlieferungen wird in diesem Kontext als Interessenspolitik der Rüstungsindustrie zurückgewiesen, da jeder Euro für Rüstung als fehlend in sozialen Infrastrukturen betrachtet wird.

Anhaltende Personalprobleme und die Debatte um die Wehrpflicht

Die personelle Situation der Bundeswehr bleibt angespannt. Aktuelle Zahlen für September 2025 zeigen einen weiteren Rückgang der aktiven Soldatinnen und Soldaten auf unter 182.000. Dies steht im Kontrast zum Ziel, die Personalstärke bis 2031 auf 203.000 zu erhöhen, wobei bereits infrage gestellt wird, ob diese Zahl für zukünftige Herausforderungen ausreichend ist. Die Bundeswehr kämpft mit einer Überalterung der Truppe und einer hohen Quote an Abbrecherinnen und Abbrechern unter den Neuzugängen. Ein großer Teil des Personals ist zudem in Stäben, Behörden und Ämtern gebunden, wodurch lediglich die Hälfte der Truppe dem eigentlichen Kernauftrag nachkommen kann.

Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht hat in den letzten Wochen neue Dynamik gewonnen. Die Regierungsfraktionen haben sich auf ein neues Wehrdienst-Modell geeinigt, das weiterhin auf Freiwilligkeit setzt, aber eine verpflichtende Musterung für alle jungen Männer ab dem Geburtsjahrgang 2008 vorsieht. Frauen erhalten den Fragebogen ebenfalls, müssen diesen jedoch nicht beantworten. Sollte die Zahl der Freiwilligen nicht ausreichen, könnte nach Zustimmung des Bundestags eine Bedarfswehrpflicht per Losverfahren eingeführt werden. Diese „Bedarfswehrpflicht“ wird jedoch von Skeptikern als eine Form der Instrumentalisierung junger Menschen für die Bundeswehr kritisiert, insbesondere da keine sicherheitspolitische Notwendigkeit zur Reaktivierung der Wehrpflicht angesichts der bereits umfangreichen Streitkräfte der NATO gesehen wird. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt dabei bestehen. Attraktive Anreize wie eine monatliche Vergütung von mindestens 2.600 Euro brutto und ein Zuschuss zum Pkw- oder Lkw-Führerschein sollen die Bereitschaft zum Dienst steigern.

„Verteidigungsfähig ja, kriegsfähig nein?“ – Eine kritische Perspektive

Die fortwährende Diskussion über den desolaten Zustand der Bundeswehr, ihre Ausrüstungsmängel und Personalengpässe wirft die Frage auf, inwieweit diese Debatte nicht auch dazu dient, eine umfassende Aufrüstung zu legitimieren. Angesichts des massiven Sondervermögens und der anhaltenden Schwierigkeiten im Beschaffungswesen entsteht der Eindruck, dass selbst mit erheblichen finanziellen Mitteln keine voll funktionsfähige Truppe aufgebaut werden kann. Dies verstärkt die kritische Haltung, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr nicht nur ineffizient, sondern möglicherweise strukturell disfunktional ist. Die Behauptung, Waffenlieferungen würden „Frieden sichern“, wird als Interessenspolitik der Rüstungsindustrie und ihrer politischen Unterstützer zurückgewiesen. Sicherheit entsteht durch Gerechtigkeit, nicht durch Aufrüstung. Die einzige legitime „Verteidigung“ ist die gegen soziale Kälte und Ausbeutung.

Das Narrativ einer notwendigen „Kriegstüchtigkeit“ für 2029-2030, wie es in einigen militärischen Dokumenten skizziert wird, wird mit Skepsis betrachtet. Es wird hinterfragt, ob solche Pläne nicht Teil einer Eskalationsspirale sind, die Leid und Chaos verstärkt, anstatt zivile Konfliktlösungen und Abrüstung zu fördern. Die Außenpolitik, die auf wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen und militärische Interventionen setzt, wird als Werkzeug zur Durchsetzung hegemonialer Interessen charakterisiert, anstatt einer unabhängigen Außenpolitik, die sich keinem Militärbündnis unterordnet.

Bild: Pixabay / GuentherDillingen


Redaktion (30.11.2025) – Verteidigung