Fokus-Land heute: Iran
Die Verzweiflung auf den Straßen: Eine Nation am Rande
In den letzten vierzehn Tagen wurde der Iran von einer Welle des Protests und der Verzweiflung erfasst, die tiefe Risse im Fundament der Islamischen Republik offenbart. Von den Krankenhäusern Teherans bis zu den Ölfeldern im Süden und den Bergbauregionen Kermans – das Land bebt unter dem Druck einer galoppierenden Wirtschaftskrise und einer weit verbreiteten Korruption. Es ist nicht nur eine Nachricht, es ist der Schrei einer Gesellschaft, deren Geduld mit einem scheinbar unberührbaren Regime am Ende ist. Das „Messer hat den Knochen erreicht“, wie es ein iranisches Sprichwort treffend beschreibt, und die Menschen gehen auf die Straße, um ihre grundlegendsten Rechte einzufordern.
Hintergrund der Misere: Ein System in der Krise
Die aktuelle Lage ist das Ergebnis einer toxischen Mischung aus jahrelanger Misswirtschaft, endemischer Korruption und der erdrückenden Last internationaler Sanktionen. Die iranische Wirtschaft befindet sich in einem freien Fall; das Bruttoinlandsprodukt wird 2025 voraussichtlich um 1,7 % und 2026 um weitere 2,8 % schrumpfen. Die Landeswährung Rial ist dramatisch abgestürzt, und die Regierung hat kürzlich eine Denominierung angeordnet, bei der vier Nullen gestrichen werden – ein verzweifelter Versuch, das Vertrauen wiederherzustellen und die Inflation zu bekämpfen. Doch die Realität für die Bürger ist brutal: Fast 40 Millionen Iraner leben unterhalb der relativen Armutsgrenze, sieben Millionen sogar in absoluter Armut, was bedeutet, dass sie selbst bei vollständiger Ausgabe ihres Einkommens für Lebensmittel unter Mangelernährung leiden würden.
Die Inflation, insbesondere bei Lebensmitteln, hat im Oktober 2025 einen alarmierenden Wert von 64,3 % erreicht und gehört damit zu den höchsten weltweit. Währenddessen bleiben die Löhne weit hinter den Lebenshaltungskosten zurück. Ein durchschnittlicher Monatslohn von etwa 155 US-Dollar steht einem Haushaltsbedarf gegenüber, der dreimal so hoch ist. Die Mittelschicht verschwindet rapide, und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Parallel dazu ist die Kapitalflucht auf Rekordniveau, mit fast 9 Milliarden Dollar im Frühjahr 2025. Diese Zahlen sind nicht abstrakt; sie manifestieren sich in den täglichen Entbehrungen und der wachsenden Wut der Bevölkerung.
Die Akteure und ihre Motive
Auf der einen Seite steht das iranische Regime, bestehend aus der politischen Führung, den Revolutionsgarden (IRGC) und dem Geheimdienstapparat. Sie versuchen, die Kontrolle durch eine Mischung aus Repression und symbolischen Gesten aufrechtzuerhalten. Berichte über die Anwendung von „Bestrafung statt Unterstützung“ für streikendes Gesundheitspersonal und den Einsatz tödlicher Gewalt gegen „Kraftstoffträger“ in Grenzregionen zeigen die Härte der Reaktion auf Dissens. Die Ankündigung einer effektiven Vervierfachung des Preises für importiertes Superbenzin und die Streichung der Zusatzkrankenversicherung für Millionen Rentner, die am 22. November in Kraft trat, sind weitere Beispiele für Maßnahmen, die die finanzielle Not der Bevölkerung weiter verschärfen. Diese Entscheidungen spiegeln die Angst des Regimes vor einem Massenaufstand wider, der durch den wirtschaftlichen Schmerz ausgelöst werden könnte, den es selbst noch verstärkt.
Auf der anderen Seite stehen die Bürger: Notärzte, die gegen ungleiche Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen protestieren; Minenarbeiter, die stagnierende Löhne trotz steigender Produktion beklagen; Rentner, deren Pensionen nicht einmal die grundlegendsten Bedürfnisse decken; und sogar Opfer von Betrug, die ihr Geld von staatlich unterstützten Autohändlern zurückfordern. Auch Umweltaktivisten, die gegen die Zerstörung historischer Bäume in Teheran protestieren, gehören zu den Stimmen des Widerstands. Diese vielfältigen Gruppen sind nicht nur durch ihre spezifischen Forderungen vereint, sondern durch eine gemeinsame Frustration über ein System, das sie als korrupt und unfähig wahrnehmen. Ihre Parolen reichen von „Hohe Preise, Inflation, Diebstahl aus den Taschen des Volkes“ bis zu „Beamtenkinder leben in Luxus, während Rentner in Elend leben“, was die wahrgenommene Vetternwirtschaft und Korruption anprangert.
Die Stimmung im Land: Zwischen Wut und Resignation
Die Stimmung im Iran ist eine Mischung aus tiefer Wut, Resignation und einer wachsenden Entschlossenheit. Die Menschen sehen das Regime nicht mehr als eine regierende Instanz, sondern als das Haupthindernis für ihr Überleben. Die wiederkehrenden Proteste, die sich über verschiedene Sektoren und Regionen erstrecken, sind ein klares Zeichen für einen gescheiterten Staat und den unerschütterlichen Ruf nach grundlegendem Wandel. Während die offizielle Propaganda versucht, das Bild von Stabilität zu wahren, zeugen die leeren Supermarktregale, die steigenden Mieten und die unbezahlbaren Schulgebühren von einer anderen Realität. Die Menschen fühlen sich von ihrer Regierung im Stich gelassen, und die Angst vor weiterer Repression scheint die Entschlossenheit, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, nicht mehr vollständig bremsen zu können. Die wirtschaftliche Not hat einen kritischen Punkt erreicht, an dem die Sorge um das tägliche Überleben die Angst vor den Konsequenzen des Protests überwiegt.
Während internationale Themen wie die Nuklearverhandlungen und Drohungen gegen den Obersten Führer Ali Khamenei die globalen Schlagzeilen dominieren mögen, ist es die innere Zerrüttung – die Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden Proteste – die das iranische Volk in seinem Kern bewegt und die Zukunft des Landes in den kommenden Wochen und Monaten maßgeblich bestimmen wird.
Symbolbild: Pixabay / mostafa_meraji
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