Entlarvte Schatten: Wie X.com diplomatische Spannungen zwischen Marokko und Katar offenlegt


Fokus-Land heute: Marokko

Digitale Enthüllungen belasten marokkanisch-katarische Beziehungen

Rabat, Marokko – Eine unscheinbare Transparenzfunktion auf der Social-Media-Plattform X (ehemals Twitter) hat in Marokko in den letzten Tagen ein diplomatisches Beben ausgelöst. Was am 24. November 2025 als technisches Update begann, entwickelte sich rasch zu einem brisanten Politikum: Die neue Funktion zur Offenlegung des geografischen Standorts einflussreicher Accounts enttarnte eine Vielzahl von Profilen, die seit langem als Speerspitze der Kritik gegen Marokko gelten, als in Katar ansässig. Diese Enthüllung wirft ein Schlaglicht auf die komplexen geopolitischen Spannungen in der Region und den Vorwurf der „hybriden Kriegsführung“ durch Desinformation.

Die Plattform X hatte Anfang November Updates zur Verbesserung der Account-Transparenz eingeführt, insbesondere für Konten mit hoher Reichweite oder solche, die Anzeigen schalten. Während viele dieser kritischen Profile zuvor vage Ortsangaben wie „Westasien“ machten, zeigte die neue Funktion nun klar: Doha, Katar. Diese kollektive Entdeckung durch regionale Beobachter und marokkanische Nutzer hat die Diskussion um organisierte Einflussnahmen neu entfacht.

Die Angriffsziele: Königshaus, Abraham-Abkommen und Westsahara

Die von Katar aus agierenden Accounts verfolgen eine auffallend konsistente und zielgerichtete Agenda. Ihre Kritik konzentriert sich auf drei hochsensible Bereiche der marokkanischen Politik: erstens, das Königshaus und König Mohammed VI., gegen die regelmäßig Gerüchte und persönliche Angriffe verbreitet werden, um die königliche Autorität zu untergraben. Zweitens, die Abraham-Abkommen, die die Normalisierung der Beziehungen zwischen Marokko und Israel vorsehen, werden vehement als Verrat an der arabischen und palästinensischen Sache dargestellt. Drittens, die territoriale Integrität Marokkos, insbesondere in Bezug auf die Westsahara, wird ständig in Frage gestellt und untergraben.

Diese gezielte Kampagne wird in Rabat als Beleg für eine „hybride Kriegsführung“ gewertet. Darunter versteht man eine Mischung aus Desinformation und gezielter Untergrabung der nationalen Politik, die unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Konflikts bleibt. Die Verschleierung des tatsächlichen Standorts der Accounts deutet auf eine bewusste Strategie hin, um Einfluss zu nehmen und die öffentliche Meinung zu manipulieren.

Hintergründe der Spannungen: Katar und die Muslimbrüder

Die Wurzeln der diplomatischen Divergenz zwischen Marokko und Katar reichen tief. Katar gilt als historischer Unterstützer der Muslimbruderschaft (Ikhwan) und ähnlicher politisch-islamischer Strömungen, die eine größere Rolle bei der Gestaltung der Regierung fordern. Marokko hingegen verfolgt einen anderen Ansatz der Staatsführung. Diese ideologischen Unterschiede könnten eine Erklärung für die anhaltenden Spannungen und die mutmaßlichen Einflusskampagnen bieten.

Die Beziehungen zwischen den beiden Golfstaaten sind seit längerem angespannt. Bereits 2022 gab es Berichte über eine Beteiligung Katars an Sicherheitsfragen zur FIFA WM, bei der Marokko eine Rolle spielte, doch die aktuelle Entwicklung auf X.com legt tiefere, verdeckte Konflikte offen.

Die Stimmung im Land: Zwischen Empörung und Ernüchterung

Die Enthüllungen haben in Marokko eine Mischung aus Empörung und einer gewissen Ernüchterung ausgelöst. Während die Regierung und staatsnahe Medien die Enttarnung als Bestätigung ihrer seit langem geäußerten Vermutungen über externe Einmischung sehen, ist in der Bevölkerung die Sorge über die Wirksamkeit solcher Desinformationskampagnen spürbar. Viele Marokkaner sind sich der Bedeutung der Westsahara-Frage für die nationale Identität bewusst und sehen Angriffe darauf als direkte Provokation.

Gleichzeitig wird die Debatte im Land von anderen innenpolitischen Themen überschattet. So sorgte erst kürzlich der Fall einer Frau, die in einer Straßenbahn entbinden musste, für landesweite Bestürzung und lenkte den Fokus auf die gravierenden Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem. Auch wenn diese sozialen Missstände nicht direkt mit der katarischen Einflussnahme in Verbindung stehen, zeigen sie die Komplexität der Herausforderungen, denen sich Marokko gegenübersieht.

Die EU hat sich indes um eine strategische Partnerschaft mit Marokko bemüht und ein reformiertes Handelsabkommen, das auch die „Südprovinzen“ einschließt, abgeschlossen, was die internationale Anerkennung von Marokkos Position in der Westsahara-Frage unterstreicht. Diese Entwicklungen zeigen, dass Marokko trotz interner und externer Herausforderungen bestrebt ist, seine diplomatische Position zu stärken und seine Interessen auf internationaler Bühne zu vertreten.

Die Affäre um die X.com-Accounts ist mehr als nur eine digitale Randnotiz; sie ist ein deutliches Zeichen für die anhaltenden geopolitischen Rivalitäten im Maghreb und darüber hinaus. Rabat steht vor der Aufgabe, nicht nur auf diplomatischer Ebene zu reagieren, sondern auch die eigene Bevölkerung gegen gezielte Desinformation zu immunisieren und das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zu stärken. Die Schatten des „hybriden Krieges“ werfen lange Schatten über die marokkanische Politik.

Symbolbild: Pixabay / wal_172619


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