Chinas Wirtschaft im Würgegriff: Ein beispielloser Investitionseinbruch erschüttert das Land


Fokus-Land heute: China

Einleitung: Die beunruhigenden Zahlen aus Peking

In den letzten zwei Wochen blickte die Welt mit Sorge auf China, doch nicht die üblichen geopolitischen Spannungen beherrschten die Schlagzeilen. Vielmehr war es ein beispielloser Einbruch der Investitionen, der die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern droht. Die jüngsten Wirtschaftsdaten für Oktober 2025 zeichnen ein düsteres Bild und lassen Ökonomen rätseln über das Ausmaß und die Ursachen dieser Entwicklung. Ein Phänomen, das weit über eine bloße Konjunkturdelle hinausgeht und tiefgreifende Fragen über Chinas zukünftigen Wachstumspfad aufwirft.

Der dramatische Fall der Anlageinvestitionen

Offizielle Daten für Oktober 2025 zeigten einen scharfen Rückgang der industriellen Produktion und eine Verlangsamung des Einzelhandelsumsatzes. Doch am alarmierendsten war der Einbruch der Anlageinvestitionen (Fixed-Asset Investment, FAI) um über 11% im Vergleich zum Vorjahr – der schlimmste monatliche Wert seit den anfänglichen COVID-19-Lockdowns Anfang 2020. Über die ersten zehn Monate des Jahres schrumpften die FAI sogar um 1,7%, was einen Rekordrückgang darstellt. Auch die Exporte, lange Zeit ein wichtiger Wachstumsmotor, gingen zum ersten Mal seit Monaten zurück.

Dieser plötzliche und massive Rückgang ist für viele Analysten ein Rätsel. Er steht im scheinbaren Widerspruch zu anderen Wirtschaftsindikatoren, wie einem Anstieg der Industrieproduktion um 6,1% und einem Einzelhandelswachstum von rund 4% im Jahresverlauf. Die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Datensätzen erschwert eine klare Einschätzung der tatsächlichen Lage und nährt die seit langem bestehenden Zweifel an der Transparenz und Glaubwürdigkeit chinesischer Statistiken.

Hintergründe: Ein Mix aus Strukturproblemen und Politik

Die Gründe für diesen beispiellosen Investitionseinbruch sind vielschichtig. Das Nationale Statistikamt Chinas führte den Rückgang auf ein „ungünstiges externes Umfeld“ und einen „harten Wettbewerb im Inland“ zurück, der die Renditen drücke. Doch tieferliegend sind es strukturelle Probleme, die Chinas Wirtschaft seit längerem belasten:

  • Die Immobilienkrise: Der seit Jahren schwelende Immobiliencrash hat das Vertrauen der Haushalte erschüttert und zu einer Entschuldungswelle geführt, die den Konsum bremst.
  • Lokale Staatsverschuldung: Viele lokale Regierungen sind hoch verschuldet, was ihre Fähigkeit, in Infrastrukturprojekte zu investieren, stark einschränkt. Banken, die traditionell Infrastruktur und Fertigung finanzieren, sind vorsichtiger geworden, da die Kreditvergabe an unrentable Unternehmen ihr Kapital belasten könnte.
  • Verschiebung des Wachstumsmodells: Seit Jahren fordern Ökonomen, dass China von einem investitionsgetriebenen zu einem konsumorientierten Wachstumsmodell übergeht. Doch der Binnenkonsum bleibt schwach, und die fragile Lage auf dem Arbeitsmarkt belastet das Verbrauchervertrauen.
  • „Anti-Involution“-Kampagne: Die Regierung hat eine Kampagne zur Eindämmung von Überkapazitäten in vielen Industrien gestartet. Es ist unklar, inwieweit diese Politik – die darauf abzielt, eine Produktionsflut zu verhindern – zum Rückgang der Investitionen beigetragen hat, da keine spezifischen Ziele für Investitionsbeschränkungen veröffentlicht wurden.

Akteure und Stimmung: Zwischen Sorge und staatlicher Steuerung

Die Hauptakteure in dieser wirtschaftlichen Krise sind die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), die Wirtschaftsplaner, lokale Regierungen, staatliche und private Unternehmen sowie die chinesischen Konsumenten. Die Führung in Peking steht unter immensem Druck, die Wirtschaft zu stabilisieren, ohne die bereits hohe Staatsverschuldung weiter zu befeuern. Ein breites Haushaltsdefizit von über 8% des BIP wird für 2025 erwartet, was den Aufwärtstrend der offiziellen Staatsverschuldung auf über 100% des BIP im Jahr 2026 anheizen könnte.

Die Stimmung im Land ist von Sorge geprägt, aber auch von der Erwartung staatlicher Interventionen. Beijing hat bereits eine unterstützende Politik mit einer akkommodierenden Geldpolitik und einigen fiskalischen Anreizen wie Konsumsubventionen für Haushaltsgeräte und Autos verfolgt. Gleichzeitig hat das im Oktober verabschiedete 15. Fünfjahresplan, das die wirtschaftliche Blaupause für das nächste halbe Jahrzehnt darstellt, die ehrgeizigen Ziele Chinas für die technologische Vorreiterrolle und die Gestaltung der globalen Wirtschaftsordnung bekräftigt.

Ein prominenter amerikanischer Ökonom, Stephen Roach, warnte davor, dass sowohl die USA als auch China Gefahr laufen, sich zu sehr auf die nationale Sicherheit zu fixieren, was von ihren jeweiligen innenpolitischen Herausforderungen ablenke. Er betonte, Chinas dringendste Priorität für die nächsten fünf Jahre sei es, „sich um die eigene Wirtschaft zu kümmern“ und den Übergang zu einem konsumgetriebenen Wachstumsmodell zu vollziehen.

Ausblick: Ein fragiles Gleichgewicht

Chinas Wirtschaft befindet sich an einem Scheideweg. Der beispiellose Investitionseinbruch ist ein klares Signal für tiefgreifende strukturelle Probleme, die nicht allein durch externe Faktoren erklärt werden können. Die Fähigkeit der KPCh, diese Herausforderungen zu meistern und einen stabilen Übergang zu einem nachhaltigeren Wachstumsmodell zu gewährleisten, wird entscheidend sein – nicht nur für die chinesische Bevölkerung, sondern auch für die globale Wirtschaft. Der Weg dorthin wird zweifellos steinig sein und erfordert mehr als nur taktische Anpassungen; er verlangt eine grundlegende Neuausrichtung. Die Augen der Welt bleiben auf China gerichtet, während es versucht, sein fragiles Gleichgewicht zu halten und einen neuen Kurs zu finden.

Symbolbild: Pixabay / geralt


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