Fokus-Land heute: Nigeria
Eine Nation in Geiselhaft: Nigerias Kampf gegen die eskalierende Entführungskrise
Nigeria, die bevölkerungsreichste Nation Afrikas, befindet sich in einem tiefgreifenden Sicherheitsnotstand. Die letzten Wochen waren geprägt von einer alarmierenden Zunahme von Massenentführungen, die vor allem Schulen und religiöse Einrichtungen betreffen und das Land in Angst und Schrecken versetzen. Als Reaktion auf diese eskalierende Krise hat Präsident Bola Ahmed Tinubu am 26. November 2025 einen landesweiten Sicherheitsnotstand ausgerufen und umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Bandenkriminalität angeordnet.
Die Wurzeln der Geißel: Von Boko Haram zu Banditentum
Die Entführung von Menschen, insbesondere von Schulkindern, ist in Nigeria keine neue Erscheinung. Das berüchtigte Kidnapping von Chibok im Jahr 2014 durch Boko Haram rückte das Problem ins internationale Rampenlicht. Seitdem hat sich die Dynamik jedoch verschoben. Während Boko Haram und die Islamische Staat Provinz Westafrika (ISWAP) weiterhin im Nordosten aktiv sind, werden die aktuellen Massenentführungen im Nordwesten und in den zentralen Regionen hauptsächlich von bewaffneten kriminellen Banden, oft als „Banditen“ bezeichnet, verübt. Diese Gruppen agieren primär aus finanziellen Motiven und fordern Lösegeld, was die Entführungsindustrie zu einem lukrativen Geschäft gemacht hat.
Die Angriffe haben verheerende Auswirkungen auf die Bildung. Schulen, die eigentlich sichere Rückzugsorte sein sollten, sind zu bevorzugten Zielen geworden, was zu massiven Schulschließungen und einem drastischen Rückgang der Einschreibungszahlen führt. Die UN-Menschenrechtskommission hat festgestellt, dass Nigeria wiederholt darin versagt hat, Schulen und Gemeinden vor gezielten Angriffen zu schützen, was zu systematischen und schwerwiegenden Rechtsverletzungen führt.
Die jüngste Welle der Schrecken
Die jüngste Eskalation begann am 17. November mit der Entführung von 25 Schulmädchen aus einer weiterführenden Schule in Maga, Kebbi State. Der stellvertretende Schulleiter wurde dabei getötet. Kurz darauf, am 21. November, ereignete sich in Papiri, Niger State, eine der schlimmsten Massenentführungen in der Geschichte Nigerias: Bewaffnete Männer überfielen die St. Mary’s Catholic School und verschleppten 303 Schüler und 12 Lehrer. Obwohl 50 Schüler entkommen oder befreit werden konnten, blieben über 250 Kinder und ihre Lehrer in Geiselhaft. Weitere Vorfälle umfassen die Entführung von 38 Gläubigen aus einer Kirche in Kwara State und die Verschleppung von 10 Frauen und Kindern in einem Dorf ebenfalls in Kwara State.
Die Antwort der Regierung: Zwischen Entschlossenheit und Skepsis
Präsident Tinubu reagierte auf die Krise mit der Erklärung eines landesweiten Sicherheitsnotstands. Er ordnete die Rekrutierung von 20.000 zusätzlichen Polizeibeamten an, wodurch sich die Gesamtzahl der Neueinstellungen auf 50.000 erhöht, und genehmigte die Rekrutierung weiterer Militärangehöriger. Zudem sollen VIP-Bodyguards des Polizeidienstes für Kernaufgaben der Polizeiarbeit umverteilt werden, um die Sicherheit der Normalbevölkerung zu gewährleisten. Tinubu rief auch die Nationalversammlung dazu auf, Gesetze zu überarbeiten, um den Bundesstaaten die Einrichtung eigener Polizeikräfte zu ermöglichen, eine langjährige Debatte in Nigeria.
Diese Maßnahmen kommen auch unter dem Druck internationaler Akteure. US-Präsident Donald Trump hatte Nigeria zuvor mit Sanktionen und militärischen Interventionen gedroht, aufgrund von Behauptungen, Christen würden im Land verfolgt, was die Regierung in Abuja in eine diplomatische Zwickmühle brachte. Tinubu genehmigte die Bildung einer nigerianischen Delegation für eine US-Nigeria Joint Working Group, um die Zusammenarbeit bei Sicherheitsfragen zu vertiefen.
Die Stimmung im Land: Angst, Wut und Forderungen nach mehr
Trotz der Ankündigungen der Regierung ist die Stimmung im Land eine Mischung aus Angst, Wut und tiefer Skepsis. Analysten äußern Bedenken, dass die bloße Erhöhung der Truppenstärke nicht ausreichen wird, um die Flut der Unsicherheit umzukehren. Es wird argumentiert, dass die eigentlichen Ursachen wie Armut, Ungleichheit und die unzureichende Ausstattung der Sicherheitskräfte angegangen werden müssen. Berichte über unterbezahlte und schlecht ausgerüstete Soldaten sind weit verbreitet.
Die Zivilbevölkerung, insbesondere in den ländlichen Gebieten, fühlt sich schutzlos. Familien haben verzweifelt um den Schutz ihrer Kinder gebeten, oft ohne Erfolg. Die Unsicherheit treibt nicht nur Vertreibung voran, sondern verschärft auch die ohnehin schon kritische Ernährungsunsicherheit, insbesondere im Norden Nigerias, wo fast 35 Millionen Menschen im Jahr 2026 von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sein könnten. Die internationale Gemeinschaft, darunter das Welternährungsprogramm (WFP), warnt vor einer beispiellosen Hungerkrise, die durch die Instabilität weiter angeheizt wird.
Nigerias Regierung steht vor der gewaltigen Aufgabe, nicht nur die unmittelbare Bedrohung durch die Entführer zu bekämpfen, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen und die strukturellen Probleme anzugehen, die das Land in diesen Teufelskreis der Gewalt getrieben haben. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Tinubus Notstandsmaßnahmen ausreichen, um das Blatt zu wenden und den Menschen in Nigeria die dringend benötigte Sicherheit zurückzugeben.
Symbolbild: Pixabay / Kaufdex
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