Fokus-Land heute: Rumänien
Rumänien am Scheideweg: Ein Land im Griff der Sparpolitik
In den letzten zwei Wochen war Rumänien von einem Thema absolut beherrscht: Die tiefgreifenden Sparmaßnahmen der Regierung in Bukarest und die düstere Wirtschaftsprognose der Europäischen Kommission. Das Land, das seit seinem EU-Beitritt einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht hat, ringt nun mit einem hohen Haushaltsdefizit und einer schmerzhaften Konsolidierungspolitik, die auf breiten Widerstand stößt und die Stimmung im Land zunehmend anheizt.
Der wirtschaftliche Hintergrund: Ein Defizit, das Sorgen bereitet
Rumänien, gelegen im Grenzraum zwischen Mittel- und Südosteuropa und seit 2007 Mitglied der Europäischen Union, sah sich zuletzt mit einem der höchsten Haushaltsdefizite in der EU konfrontiert. Im Jahr 2024 erreichte es alarmierende 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dieser Umstand hat die Europäische Kommission dazu veranlasst, ihre Wachstumsprognose für die rumänische Wirtschaft im Jahr 2025 drastisch von 1,4 Prozent auf lediglich 0,7 Prozent zu senken. Brüssel bewertet die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zwar als wesentlich für die finanzielle Stabilität, warnt jedoch eindringlich vor den sozialen Kosten, die diese mit sich bringen werden. Positive Effekte werden frühestens im Jahr 2027 erwartet.
Die Sparpakete: Ein „Mammutgesetz“ und seine Folgen
Als Reaktion auf den immensen fiskalischen Druck hat die rumänische Regierung ein weitreichendes Sparpaket geschnürt, das von einigen als „Mammutgesetz“ bezeichnet wird. Dieses Paket sieht wesentliche Änderungen sowohl rechtlicher als auch steuerlicher Art vor und betrifft zahlreiche Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft. Zu den Kernmaßnahmen gehören Steuererhöhungen, das Einfrieren von Löhnen und Renten im öffentlichen Dienst sowie drastische Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben und Stellen. Die Europäische Kommission prognostiziert, dass diese fiskalischen Maßnahmen den privaten und öffentlichen Konsum belasten werden. Der Konsum der Haushalte werde „anämisch“ bleiben, beeinflusst von steigenden Preisen, Lohnstagnation im öffentlichen Sektor und moderaten Lohnerhöhungen im privaten Sektor.
Ein besonders kontroverses Element dieser Reformen sind die Pläne zur Änderung des Ruhestandssystems für Richter und Staatsanwälte. Die Regierung strebt eine Anhebung des Renteneintrittsalters und eine Kürzung ihrer Pensionen an, was auf erheblichen Widerstand stößt. Das Verfassungsgericht wies ein entsprechendes Gesetz des liberalen Premierminister Ilie Bolojan kürzlich aus verfahrenstechnischen Gründen zurück. Zivilgesellschaftliche Organisationen protestieren vehement gegen die „Sonderrenten“ der Richter, die als Privilegien wahrgenommen werden, die nicht mit der allgemeinen Sparpolitik vereinbar sind.
Die Akteure und ihre Standpunkte
Die rumänische Regierung, eine breite Koalition aus PSD, PNL, USR und UDMR unter Premierminister Ilie Bolojan, steht vor der schwierigen Aufgabe, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und gleichzeitig soziale Unruhen zu vermeiden. Sie argumentiert, dass die Sparmaßnahmen notwendig seien, um die finanzielle Stabilität des Landes zu gewährleisten und den Verpflichtungen gegenüber der EU nachzukommen. Die Europäische Kommission unterstützt diesen Kurs prinzipiell, mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht hinsichtlich der sozialen Auswirkungen.
Auf der anderen Seite formiert sich breiter Widerstand. Tausende von Menschen demonstrierten in Bukarest und forderten höhere Löhne, Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation und Steuersenkungen für Arbeitnehmer. Die Kundgebungen wurden vom Nationalen Gewerkschaftsblock organisiert, der sich gegen das Maßnahmenpaket zur Verringerung des Haushaltsdefizits wendet. Auch innerhalb der Regierungskoalition gibt es Spannungen, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltungsreform und die Sonderpensionen für Richter, wo sich die Parteien uneinig zeigen.
Ein weiteres Thema, das die Debatte um Reformen und Korruption berührt, ist die Einführung einer einjährigen Karenzzeit für Amtsträger in Führungspositionen nach Mandatsende. Diese Regelung, eine Empfehlung der OECD, soll Interessenkonflikte beim Übergang von der Politik in die Privatwirtschaft verhindern. Präsident Nicușor Dan hat zudem den Obersten Verteidigungsrat einberufen, um die Nationale Verteidigungsstrategie für 2025–2030 zu erörtern, die Korruptionsbekämpfung erneut als Sicherheitsthema aufgreift. Korruption bleibt ein tief verwurzeltes Problem, das von 96 Prozent der Rumänen als eines der schwerwiegendsten im Land angesehen wird.
Stimmung im Land: Zwischen Sorge und Protest
Die Stimmung in Rumänien ist angespannt. Die Bevölkerung spürt die Auswirkungen der Inflation und der Sparmaßnahmen unmittelbar. Die Aussicht auf stagnierende Löhne und Renten, gekoppelt mit steigenden Preisen, führt zu Verunsicherung und Frustration. Die Proteste in Bukarest sind ein klares Zeichen des wachsenden Unmuts gegen eine Politik, die als ungerecht empfunden wird und vor allem die breite Bevölkerung trifft, während Privilegien bestimmter Gruppen, wie die Sonderrenten der Richter, scheinbar unangetastet bleiben. Die gesellschaftliche Debatte ist von einer Mischung aus Sorge um die wirtschaftliche Zukunft und dem Wunsch nach mehr Gerechtigkeit und Transparenz geprägt.
Ausblick: Ein schwieriger Weg nach vorn
Rumänien steht vor einem schwierigen Weg. Die Regierung muss den Spagat schaffen, die notwendige Haushaltskonsolidierung voranzutreiben, um die finanzielle Stabilität zu sichern und das Vertrauen der EU zu erhalten, ohne dabei die soziale Kohäsion des Landes zu gefährden. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Regierung in der Lage ist, die Wirtschaft zu stabilisieren, die Korruption wirksam zu bekämpfen und die Bevölkerung von der Notwendigkeit und Fairness ihrer Reformen zu überzeugen. Das Ringen um die Zukunft des Landes, zwischen externem Druck und internem Widerstand, bleibt das beherrschende Thema.
Symbolbild: Pixabay / geralt
Automatischer World-Monitor – Zufallsauswahl gewichtet nach Bevölkerung.




