Fokus-Land heute: Südkorea
Südkoreas demografische Zeitbombe: Wenn die Jugend sich vom Arbeitsleben abwendet
Südkorea, bekannt für seine technologische Vorreiterrolle, seine pulsierenden Städte und seine dynamische Popkultur, blickt mit Sorge auf eine Entwicklung, die das Fundament seiner Gesellschaft bedroht: eine tiefgreifende demografische Krise, die sich zunehmend im Arbeitsmarkt manifestiert. Während die Welt oft auf die geopolitischen Spannungen mit dem Norden blickt, brodelt im Inneren des Landes eine stille Revolution – junge Menschen ziehen sich massenhaft aus dem Berufsleben zurück. Diese Entwicklung ist nicht nur ein Warnsignal für die Wirtschaft, sondern auch ein Spiegelbild tief sitzender gesellschaftlicher Probleme.
Der stille Protest der ‚N-Po‘-Generation
In den letzten Wochen hat ein Phänomen in Südkorea für Schlagzeilen gesorgt, das die Dringlichkeit der demografischen Lage unterstreicht: Hunderttausende junge Menschen haben sich freiwillig aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen. Schlechte Bezahlung, immenser Druck und eine als aussichtslos empfundene Wettbewerbsgesellschaft treiben eine ganze Generation in den Rückzug. Allein zwischen 2019 und 2023 soll dieses Phänomen die Wirtschaft des Landes rund 44.000 Milliarden Won gekostet haben, umgerechnet etwa 27 Milliarden Euro. Dies ist ein Alarmzeichen, das die Regierung von Präsident Lee Jae-myung nicht ignorieren kann.
Die Ursachen für diesen „stillen Streik“ sind vielfältig. Südkorea kämpft seit Langem mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate. Die Zahl der Geburten ist so gering, dass die Bevölkerung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf knapp 20 Millionen schrumpfen könnte, wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen. Gleichzeitig altert die Gesellschaft rasant. Dies führt zu einem immer gravierenderen Fachkräftemangel, der selbst Zuschüsse für künstliche Befruchtungen nicht aufhalten können.
Hintergründe der Misere: Druck, Kosten und fehlende Perspektiven
Die südkoreanische Gesellschaft ist bekannt für ihren extremen Leistungsdruck, der bereits in der Schulzeit beginnt und sich im Berufsleben fortsetzt. Lange Arbeitszeiten, hierarchische Strukturen und ein gnadenloser Wettbewerb um die besten Positionen prägen den Alltag vieler. Junge Menschen sehen sich mit hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert, insbesondere in Metropolen wie Seoul, wo Immobilienpreise exorbitant sind. Ein Hauskauf in Seoul kann Quadratmeterpreise von bis zu 18.435 Euro erreichen, weit über denen anderer entwickelter asiatischer Städte. Diese finanzielle Belastung, kombiniert mit dem Druck, eine Familie zu gründen, die man sich kaum leisten kann, führt dazu, dass viele den Kinderwunsch aufgeben oder gar keine Beziehungen eingehen.
Die Regierung hat zwar Maßnahmen ergriffen, um die Geburtenrate zu steigern und den Arbeitsmarkt zu stabilisieren, doch diese zeigen bisher wenig Wirkung. Das Arbeitsministerium versucht nun, direkten Kontakt zu den jungen Arbeitsaussteigern aufzunehmen und individuelle Lösungen anzubieten, darunter virtuelle Trainingsprogramme für einen sanften Wiedereinstieg.
Wirtschaftliche Konsequenzen und politische Reaktionen
Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die südkoreanische Wirtschaft sind besorgniserregend. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal 2025 überraschend stark wuchs, getragen von robusten Exporten und einer sich erholenden Konsumnachfrage, drohen langfristig erhebliche Herausforderungen. Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und die Belastungen durch US-Zölle sowie die Konkurrenz aus China sind weitere Faktoren, die die Situation verschärfen. Ein schrumpfender Pool an Arbeitskräften wird die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter untergraben.
Auch die medizinische Versorgung ist von dem demografischen Wandel betroffen. Ein Ärztemangel, der durch die alternde Bevölkerung noch verstärkt wird, führte bereits Anfang 2024 zu einem landesweiten Ärztestreik. Die Regierung plante, die Zahl der Medizinstudienplätze drastisch zu erhöhen, um diesem Engpass entgegenzuwirken, stieß jedoch auf heftigen Widerstand der Ärzteschaft.
Die Stimmung im Land: Zwischen Sorge und Resignation
Die Stimmung in Südkorea ist geprägt von tiefer Sorge um die Zukunft des Landes. Viele Bürger sind frustriert über die scheinbare Unfähigkeit der Politik, die demografische Krise effektiv zu bekämpfen. Bei der Jugend herrscht oft Resignation. Der Traum vom sozialen Aufstieg und einem erfüllten Familienleben scheint für viele unerreichbar. Die Wahrnehmung, dass die Allianz mit den USA, trotz eines kürzlich geschlossenen Sicherheits- und Handelsabkommens, einseitig für wirtschaftliche Gewinne genutzt wird, trägt ebenfalls zur Unsicherheit bei. Selbst außenpolitische Entwicklungen, wie die Warnung Nordkoreas vor dem Bau atomarer U-Boote durch Südkorea, verstärken das Gefühl der Instabilität.
Die Regierung unter Präsident Lee Jae-myung, die erst im Juni 2025 nach einer Phase politischer Turbulenzen um den ehemaligen Präsidenten Yoon Suk-yeol ins Amt kam, steht vor der gewaltigen Aufgabe, politische Stabilität wiederherzustellen und die tiefen gesellschaftlichen Spaltungen zu überbrücken. Doch die demografische Zeitbombe tickt unaufhörlich und erfordert mutige, weitreichende Reformen, die über kurzfristige Symptombekämpfung hinausgehen.
Südkorea befindet sich an einem Scheideweg. Ob es gelingen wird, die junge Generation wieder für die Zukunft des Landes zu begeistern und die demografische Abwärtsspirale zu durchbrechen, wird entscheidend sein für die weitere Entwicklung dieser einst so dynamischen Nation.
Symbolbild: Pixabay / geralt
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